Wenn die ersten nationalen Meisterschaft anstehen, erwarten die Athleten mit Callroom, Innenraum-Beschränkungen und dem im Vergleich zu kleineren Sportfesten deutlich professionelleren organisatorischen Rahmen Eindrücke, auf die sie vorbereitet sein sollten. Insbesondere das Warm-up spielt eine entscheidende Rolle. Hier sollen die Athleten die für sie individuell passende Einstimmung auf den Wettkampf erfahren. Dafür ist es nötig, sich im Vorfeld Gedanken über den richtigen Ablauf zu machen. Ein Plan hilft den Aktiven am Wettkampftag, auf die eigene Stärke zu vertrauen und den Wettkampf zu genießen. Bundestrainer Andreas Knauer hat sich als Landestrainer Gedanken zu diesem Thema gemacht und seine Überlegungen gemeinsam mit lt-Redakteur Andreas Grieß noch einmal aktualisiert.
Andreas Knauer und Andreas Grieß
Einführung
Stehen für die Athletinnen und Athleten mit den Deutschen Meisterschaften der U16, U18, U20 und U23 die Höhepunkte im Kalender, neigen sich die trainingsbezogenen Vorbereitungen auf diese Highlights dem Ende zu. Für die Aktiven und ihre Trainer ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die Sportler in den zurückliegenden Wettkämpfen bereits in der Praxis gelernt haben, sich gut auf einen Wettkampf vorzubereiten und sich dafür mit der Qualifikation belohnen konnten. Sie haben wichtige Erfahrungen gesammelt, die in der Auseinandersetzung mit den besten Athleten von großem Nutzen sein werden. Dennoch: Die nun anstehenden Herausforderungen werden individuell ganz anders wahrgenommen und verarbeitet. So unterschiedlich wie die Emotionen sind auch die körperlichen Reaktionen der Athleten. Mancher verspürt mehr, mancher weniger Bauchkribbeln, bei einigen fühlen sich die Beine „schwer“ an.
Die optimale Erwärmung
Im Sinne einer optimalen Vorbereitung auf den Wettkampf gilt, dass jeder seine Erwärmung individuell so gestalten muss, dass er bestmöglich auf seinen Wettkampf vorbereitet ist. Details (Rituale) sind wichtig, aber der Gesamtablauf der Erwärmung ist entscheidend! Um sicher und mit viel Selbstvertrauen seine Erwärmung zu gestalten, ist es ratsam, diese vorher geübt zu haben. Das Abschlusstraining ist hierfür bestens geeignet. Hier kann der „Ernstfall“ geprobt werden. Athleten sollten jedoch bereits vor der Erwärmung einen Ablaufplan erstellen und nichts dem Zufall überlassen. Jede Situation (Wetter, Bedingungen auf dem Aufwärmplatz, Callroom …) ist planbar.
Oft ist es sehr hilfreich, dass Athleten zunächst selbstständig den Ablauf ihrer Erwärmung detailliert aufschreiben und diesen danach mit ihrem Trainer besprechen. Häufig sind Athleten sehr unsicher, wenn sie ihn beschreiben sollen, weil sie jede Einzelheit gut und richtig machen wollen. Hier gilt es zu verdeutlichen: Zwar sind die Details wichtig, aber der Gesamtablauf der Erwärmung ist entscheidend! Er ist dann gut, wenn die Aktiven sowohl körperlich wie auch mental bestens auf den Wettkampf vorbereitet bzw. eingestimmt sind. Insofern ist die Erwärmung als gesamtkörperliche Tätigkeit (körperlich, geistig und emotional) zu verstehen.
Auf den Punkt gebracht bedeutet das: Die Erwärmung muss heiß machen! Sie ist dann gut, wenn der Sportler von den Beinen bis zum Kopf auf den Wettkampf eingestimmt ist. Da jeder Athlet anders tickt, heißt das auch: Jeder konzentriert sich auf sich selbst und auf das Wesentliche! Teile der Erwärmung können gemeinsam mit z. B. Mannschaftskollegen stattfinden, wenn das für beide Seiten passend ist. Die individuelle Vorbereitung steht aber im Vordergrund und es werden, anders als womöglich im Training, keine Kompromisse eingegangen, um gemeinsam aktiv zu sein. Jeder ist für sich – und nur für sich – verantwortlich.
Hier ein beispielhafter Erwärmungsplan zum Download!
Störungen vermeiden
Trainer sollten ihren Athleten einen wichtigen Rat mitgeben: „Macht in der Erwärmung nichts Unbekanntes, ganz egal, was die Konkurrenz macht!“. Gespräche mit anderen Sportlern, Selfies, etc. müssen hintanstehen. Dafür ist nach dem Wettkampf genug Zeit, sicher aber nicht in der Vorbereitung darauf.
Viel zu häufig schauen gerade junge Sportler auf dem Einlaufplatz mehr auf vermeintlich stärkere oder erfahrenere Konkurrenten als auf sich selbst. Sie weichen dann von ihren Routinen ab und imitieren andere. Dabei geht es nicht darum, andere zu kopieren, sondern die für sich optimale Erwärmung durchzuführen. Auch deshalb ist es hilfreich, sich im Vorfeld einen Plan zurecht gelegt zu haben und diesem zu folgen. Mögliche Anpassungen oder Optimierungsmöglichkeiten sollten im Nachgang bewertet werden.
Eine Warm-up-Routine kann und wird sich im Laufe der Sportlerkarriere verändern. Der richtige Zeitpunkt, Neues einzuführen, liegt jedoch im Training oder in Vorbereitungswettkämpfen. Auf keinen Fall sollte zum Saisonhöhepunkt experimentiert werden.
Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung gelten einige grundsätzliche Dinge: Im wörtlichen Sinne bedeutet Erwärmung, seine Betriebstemperatur systematisch zu erhöhen und quasi langsam „Dampf auf den Kessel“ zu bekommen. Es sollte daher immer erst mit einem allgemeinen Teil begonnen werden, der fließend in einen speziellen. Ganz wichtig ist es auch, nicht zu früh zu beginnen und nicht zu viel zu machen. Viele Athleten versuchen, ihrer Aufregung damit Herr zu werden, dass sie viel zu zeitig mit ihrer Erwärmung beginnen. Um die verbleibenden Zeit bis zum Start zu füllen, werden dann noch spezielle Übungen wie Sprünge oder Abläufe durchgeführt, die außer Ermüdung gar nichts bringen. Dabei gilt: Aufregung ist nichts Negatives. Im Gegenteil: Wer nicht aufgeregt ist, der ist womöglich nicht auf den Wettkampf eingestellt!
Die Rolle des Trainers
Der Trainer stellt den Athleten auf dessen Wettkampf ein. Oft wird aber die Selbstständigkeit von Athleten unterschätzt; gleichzeitig nehmen sich Trainer häufig zu wichtig. Der Trainer ist Berater, nicht Dirigent. Er sollte daher den folgenden Leitspruch beherzigen:
Der Trainer macht das Training!
Der Athlet macht den Wettkampf!
Im Wettkampf und in der unmittelbaren Vorbereitung sollte der Athlet möglichst selbstständig agieren (nicht reagieren!) und der Trainer sich auf das Nötigste beschränken. Auch Trainer dürfen nervös oder angespannt sein. Keinesfalls sollten sie diese Nervosität jedoch auf ihren Athleten übertragen, sondern vielmehr auf die geleistete Arbeit vertrauen und den Moment genießen. Wie für den Athleten gilt auch für den Trainer: Nun heißt es, den geschmiedeten Plan umsetzen (lassen) und nicht auf einmal nach links und rechts schauen und hektisch bisher Getanes über Bord werfen. Habe Vertrauen in deine Arbeit und deinen Athleten!
Den Callroom richtig einplanen
Der Callroom ist ein signifikanter Unterschied zwischen Meisterschaften und höherwertigen Meetings auf der einen Seite und kleineren Sportfesten auf der anderen. Gerade Nachwuchssportler müssen sich an die damit verbundenen Anforderungen an sie gewöhnen und erleben mitunter bei ihren ersten Deutschen Meisterschaften auch ihren ersten Callroom. Dass Athleten dabei den Callroom verpassen, ist die absolute Ausnahme. Vielmehr begeben sich viele deutlich zu früh zum Aufruf. Ziel sollte es sein, so spät wie möglich in den Callroom zu gehen. Jede Minute, die ein Athlet zu lange dort verbringt, ist eine verlorene.
Im Callroom selbst lassen sich die verschiedensten Charaktere beobachten: So mancher geht entschlossenen Schrittes hinein und kommt gesenkten Hauptes wieder heraus. Athleten sollten sich bewusst machen: Der Callroom ist eine Durchgangsstation auf dem Weg zur Wettkampfstätte und noch nicht die Wettkampfstätte selbst. Er sollte als planmäßige Unterbrechung der Gesamterwärmung gesehen werden. Der Erwärmungsprozess ist erst dann zu Ende, wenn der eigentliche Wettkampf beginnt. Im Stadion selbst folgen in aller Regel noch ein bis zwei Probestarts, Probewürfe oder Anlaufkontrollen. Das bedeutet: Auch die mentale Vorbereitung darf zur Callroomzeit noch nicht auf dem Höhepunkt sein! Es ist nämlich sehr schwierig, den Spannungsbogen über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten.
Fazit
Athleten sollten sich speziell im Callroom und ganz allgemein in der gesamten Erwärmung nicht ablenken und erst recht nicht beeindrucken lassen. Es hilft, sich zu vergegenwärtigen, dass die Anderen ebenso angespannt sind wie man selbst. Die eigene Aufregung gilt es, positiv wahrzunehmen. Anspannung ist normal und bringt einen in den gewünschten Vorstartzustand. Die Sportler sollten mit Vorfreude in den Wettkampf gehen. Die vielen Trainingsstunden haben sie letztlich hierher geführt. Nun können sie beweisen, was in ihnen steckt. Und: Sie sind die Hauptdarsteller. Alle Zuschauer, selbst die Trainer, sind letzten Endes nur Beobachter der Geschichte, die sie nun schreiben. Trainer sollten ihren Athleten demnach im wesentlichen Folgendes mitgeben: „Tretet so auf, wie ihr immer auftretet, dann macht ihr alles richtig!“.
Der Beitrag ist in leichtathletiktraining 7/2022 erschienen.